Wenn Sie auf der tekom Jahrestagung 2008 waren, haben Sie vielleicht auch den Stand von SDL aufgesucht. Zumindest, wenn Sie sich im Rahmen Ihrer Dokumentationsprozesse mit Übersetzungen beschäftigen oder selbst Sprachdienstleister sind. Dort gab es denn auch sehr interessante Neuigkeiten zu sehen. SDL TRADOS zeigte nämlich exklusiv eine Vorschau auf das 2009 kommende „SDL TRADOS Studio“ (nicht zu verwechseln mit der aktuellen „SDL TRADOS Suite“). Wir haben einen ersten Blick auf die kommende Version geworfen.
Eine komplett neue, modulare, integrierte Oberfläche
Als Erstes fiel uns die neue modulare, integrierte Programmoberfläche ins Auge, die optisch an Microsoft Office 2007 angelehnt ist. Entfernt erinnert diese an Synergy – einschließlich des auch von Outlook bekannten Navigation Pane Control unten links. In dieser Umgebung (nennen wir es mal „Workspace“) findet sich dann auch der Übersetzungseditor (i. e. den TagEditor gibt es nicht mehr) und hier werden auch die Ergebnisse aus dem TM und MultiTerm angezeigt. Da sämtliche „Teilbereiche“ dieses Workspace dockable sind, kann die Arbeitsumgebung an die individuellen Bedürfnisse angepasst werden.
Neu und ungewohnt dürfte für viele alteingefleischte TRADOS-Benutzer sein, dass der Übersetzungseditor nun zweispaltig ist – hier scheint sich die SDLX-Philosophie durchgesetzt zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass hier noch ein „Switch“ hinzukommt, mit dem die Segmente auch untereinander statt nebeneinander angezeigt werden können. Die Untereinander-Anordnung geöffneter Segmente wie sie jetzt im TagEditor existiert hat unserer Ansicht nach viele Vorteile, da so Ausgangs- und Zielsprache sehr viel einfacher verglichen werden können. Unserer Meinung nach war dies einer der Kernvorteile von TRADOS gegenüber SDLX und across.
Der Produktivitäts-Booster für Übersetzer: AutoSuggest
Sehr spannend fanden wir die neue und bereits erstaunlich „intelligente“ AutoSuggest/Texterkennungs-Funktion: Schon nach dem ersten getippten Buchstaben der Übersetzung geht unter dem Cursor ein kleines Drop-Down auf, dass Übersetzungsvorschläge macht. Das funktioniert im Prinzip ähnlich wie die Texterkennung beim Handy. Die Trefferquote ist hier natürlich deutlich höher als beim Handy, da der Text des Ausgangssegmentes und Matches im TM analysiert werden und die Vorschläge dann auch tatsächlich entsprechend sinnvoll sind. Ein Shortcut reicht, um den Vorschlag zu übernehmen. Das funktionierte in der Beta bereits erstaunlich smart und erhöhte die Übersetzungs(tipp)geschwindigkeit vor allem bei „No Matches“ erheblich.
Was die Übersetzungsumgebung per se betrifft, hat es SDL geschafft, sowohl die Anforderungen von Power-Usern mit hohem technischen Niveau zu erfüllen und dennoch auch den Übersetzern entgegenzukommen, die mit dem TagEditor eher Ihre Schwierigkeiten hatten. So kann einerseits weiterhin in einer „Tag-Ansicht“ gearbeitet (und korrigiert) werden. So bleiben alle segmentinternen Tags – wichtig vor allem bei XML-Dateien – sichtbar. Im „visuellen Modus“ werden hingegen die meisten Tags ausgeblendet und die entsprechenden Formatierungen dargestellt. Besonderes schick fanden wir die Möglichkeit, die Formatierung einzelner Wörter des Quellsegmentes in das Zielsegment zu übernehmen – auch dies funktioniert mit einem kleine Drop-Down sehr komfortabel. Fasziniert waren wir besonders vom „Live-Preview“: Übersetzt man im integrierten Editor ein Segment, wird im Fenster daneben eine vollwertige, echte Vorschau des Word-Dokumentes angezeigt, in der sich live der gerade übersetzte Satz ändert. In wieweit das auch mit anderen Formaten funktionieren wird, können wir leider noch nicht sagen. Viele TRADOS-Übersetzer wird auch die neue Funktion erfreuen, endlich die gerade durchgeführte Übersetzung in alle identischen Segmente im Dokument übernehmen zu können, oder etwa durch die Segmente sowohl nach oben als auch nach unten springen zu können (aka „Set/Close Previous Open/Get“).
Gut hat uns auch der neue „Document Tree“ gefallen. So wird in einem Bereich neben dem Übersetzungseditor die Struktur des aktuellen Dokumentes angezeigt. Bei Word-Dokumeten z. B. die Überschriften, bei DITA z. B. die title-Elemente. Für Custom XML können eigenen Elemente für den Tree definiert werden. Das erleichtert vor allen bei größeren Dokumenten die Übersicht und Navigation im Dokument erheblich.
Egal ob eine Datei oder ein ganzes Dokumentationsszenario: Beides lässt sich schnell un bequem übersetzen
Erleichtert waren wir auch zu sehen, dass in SDL Trados Studio nicht der Fehler begangen wurde, unter dem manch anderes Übersetzungssystem leidet: Auch künftig können auch einzelne Dateien schnell und einfach übersetzt werden, ohne dass erst eine halbe Stunde lang Benutzerrollen, Projektteilnehmer, Rechte, Kundenadressen, Sprachen, Termine, Verantwortlichkeiten, Projektschritte und noch endlose weitere Einstellungen vorgenommen werden müssen. Einer der Kernvorteile bei TRADOS war für Übersetzer die kaum zu unterbietende Einfachheit aus „Projektmanangementsicht“: Einfach die zu übersetzende TTX im TagEditor aufmachen, zum TM connecten, sofort losübersetzen, TTX speichern, schließen, liefern, Rechnung schreiben. Aus unseren Gesprächen mit hunderten von Übersetzern und Agenturen zählt im Alltag genau das. Denn das Alltagsgeschäft besteht eben überwiegend dann doch aus schnell mal zwei Seiten übersetzen, dem kleinen Handbuch oder der kleinen Werbebroschüre mit 500 Wörtern. Für Großprojekte hingegen können künftig die elaborierten Projektmanagement, Tracking und Qualitätssicherungs-Möglichkeiten genutzt werden, wie sie aus Synergy und TeamWorks teilweise schon bekannt sind. Somit sind unserer Beurteilung nach beide Anforderungen sinnvoll umgesetzt worden.
Die wichtigsten Änderungen finden sich unter der Haube
Besonders interessant erscheinen uns die Änderungen, die „unter der Haube“ stattfinden. Allgemein ist eine breite Unterstützung offener Standards zu erkennen, was vor allem aus strategischer Sicht von großer Bedeutung ist. So wird das Trados-eigene TTX-Format abgeschafft und durch den offenen OASIS-Standard XLIFF ersetzt. Alle anderen wichtigen Standards wie TMX werden natürlich weiterhin unterstützt. Besonders interessant in Hinblick auf die Anpassung für Custom-XML ist die Integration von XPath. Und selbst den Kern der Translation Memories ist SDL angegangen. Hier fanden zahlreiche architektonische Änderungen statt, um die heutigen Anforderungen an Segmentkontextsensitivität und Offenheit zu verbessern. Dass die TMs künftig SQL-basiert sein werden dürfte vor allem größeren TMs in Hinblick auf die Performance zugutekommen.
Zu guter Letzt sei noch erwähnt, dass die in SDL und TRADOS oft etwas „wüst“ verteilten Konfigurtationsmöglichkeiten zentral und unvergleichbar viel übersichtlicher organisiert sein werden. Auch dies ist ein alter Kritikpunkt von uns vor allem an der TRADOS Workbench gewesen.
Bleibt die Frage nach dem Release-Datum: Hier hielt man sich bei SDL noch sehr bedeckt. Unserer Einschätzung nach dürfte es aber wohl „im Sommer“ 2009 soweit sein. Das SDL TRADOS Studio macht bereits einen recht fertigen und vor allem stabilen Eindruck: In den drei Tagen der tekom konnten wir keinen einzigen Absturz beobachten, was für eine Beta recht erstaunlich ist, aber es gibt noch die ein oder andere Baustelle. Z.B. war die wichtige Unterstützung des neuen IDML-Formats noch nicht integriert.
Der Codename für die neue Version lautet übrigens „Rivelin“ – nach dem kleinen Fluß Rivelin bei Sheffield, einem der Standorte von SDL in Großbritannien.
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