GA-Marketing – was ist das denn?

Sony α 850 Instruction Manual Cover (fragment)

Um das Feuer bis zum Verkaufsstart eines neuen Produktes schön anzuheizen, setzen Unternehmen neuer­dings auch gerne mal auf „Virales Marketing“. Einen ganz besonders heißen und doch irgendwie staub­trockenen Marketing-Coup hat jetzt Sony gelandet, auf den wir durch einen Blog-Beitrag im „Erklärer-Blog“ dankens­werter­weise aufmerksam wurden.

Von Apple und Microsoft kennt man das: Da erblickt ein „Leak“ schon mal lange vor Produktveröffentlichung das Licht der Welt – sei es nun ein verschwommenes Photo vom neuen iPhone oder MacBook aus chinesischer Lieferanten-Quelle oder der neueste Windows 7-ISO-Build 7600.xyz aus Moskau. Solche „Appetizer“ machen Lust auf mehr und halten die Käufer­schar bei Laune, bis das Produkt endlich in den Regalen bzw. zum Download steht. Zudem ermöglicht es dem Hersteller schon früh, ein „Community-Feedback“ einzuholen und bei deutlicher Kritik vielleicht noch Änderungen in letzter Minute vorzunehmen.

sony850_handbuch-titelseite

So brodelt auch schon seit Wochen bei Fotofans die Gerüchteküche über eine neue DSLR-Kamera von Sony, doch bislang war wenig Offizielles zu finden. Was bot sich da also für Sony besseres an, als der hungrigen Fotografen­schar ein paar Info-Krumen hinzwerfen? So ganz „viral“ wollte man bei Sony dann aber wohl doch nicht sein, und so „leakte“ es nicht etwa in einem chinesischen Forum, sondern ganz bürokratisch im Supportcenter von Sony Asia-Pacific. Dort tauchte nämlich plötzlich die englische Bedienungsanleitung der „α 850“ auf. Das blieb natürlich nicht lange unentdeckt und so verbreiteten sich die in der GA vorgestellten technischen Daten und sonstigen Informationen binnen Stunden um den ganzen Globus. Wer Sonys Bürokratie-Maschienerie kennt, kann, wie auch der Erklärer-Blog feststellt, kaum an einen Zufall glauben und so liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier tatsächlich um einen geschickten Marketing-Schachzug handelt.

GA-Marketing – kann das gelingen?

Es ist unzweifelhaft so, dass Sony mit diesem „IM Leak“ ein kleiner Coup gelungen ist. Die „α 850“ ist in Fachkreisen nun in aller Munde und die technische Redaktion im Allgemeinen darf sich darüber freuen, dass eine Gebrauchsanleitung als solche auch mal als Marketing-Instrument herhalten darf. „Sony gebührt in diesem Szenario allerdings die Ehre, die PR-Maschinerie mit einer schlichten Bedienungsanleitung gefüttert zu haben.“, schreibt Renauld Kahns und: „Plötzlich liest die Welt eine Bedienungsanleitung, freiwillig und dazu noch, ohne überhaupt das Produkt zu besitzen.“ – keine Frage, da freut sich das Herz des technischen Redakteurs zu Recht.

Schade ist dabei nur, dass diese Ehre ausgerechnet einer so staubtrockenen, unästhetischen, gerade zu lieblosen und jedem Konsumenten-Vorurteil gerecht werdenden Gebrauchs­anleitung gebührt. Die GAs der Sony Alpha-Serie sind bestimmt kein Glanz­stück modernen Dokumentations­handwerks und den tekom-Dokupreis würde Sony damit ganz sicher auch nicht gewinnen. Insofern ist es eher schade, dass dieser Coup ausgerechnet einer Sony-GA gebührt und nicht z. B. einem Handbuch von avm.

So zumindest nicht

Die für die α-Kameras erstellten Handbücher liegen zwar immerhin auch als PDFs vor und haben sogar Lesezeichen (was ja leider auch bei Weitem noch nicht Standard ist), sind aber dank des zweispaltigen Satzes in Kombination mit dem Hochkant-Seitenformat nicht wirklich bildschirmtauglich. Aber nicht nur das macht diese unästhetischen GAs als Marketing-Instrument eher ungeeignet. Selbst die GA des Spitzenmodells, der „α 900“, sieht aus, als wäre Sie in aller Hektik mal so eben von dem, der gerade Zeit hatte, zwischen Meeting und Mittagspause hingeschludert worden. Da wimmelt es sowohl in der von uns angeschauten englischen als auch deutschen und russischen Fassung von bezaubernden Anfänger-Layoutfehlern:

Sony DSLR-A900 GA Satzfehler (IVZ)

Da gab es offenbar weder einen ordentlichen Fremdsprachensatz, noch eine Qualitätskontrolle. Zudem ist das gesamte Handbuch einschließlich aller Abbildungen in Schwarz/Weiß – auch das ist nicht gerade State of the Art und zumindest bei einem Online-PDF werder zeitgemäß noch kostenbedingt begründbar. Das ist – gepaart mit grauenhafter Typographie, schlechter Schriftwahl, vielen Satzfehlern (vor allem in den übersetzten Fassungen) und teilweise reichlich seltsam und inkonsistent gestalteten Schritt-für-Schritt-Anleitungen und einer zumindest „ungewohnten“ Art mit Nummerierungen und Listen umzugehen (was vermutlich auf die Gewohnheiten japanischer Autoren zurückgeht) – bei einem hochpreisigem High-End Produkt für ca. 2.800 EUR (nur der Body!) reichlich beschämend. Der Schritt zur Kaufreue ist da nicht mehr weit.

Dass die PDFs dann natürlich auch keine „Tagged PDFs“ sind (und damit erst recht nicht wenigstens ansatzweise Screenreader-tauglich und barrierefrei) erwartet man schon gar nicht mehr. Ach ja, eine „echte“ Online-Hilfe mit Interaktions- und Feedback-Möglichkeiten für den Kunden wie es z. B. Adobe mit der „Community-Hilfe“ für InDesign und FrameMaker vormacht, gibt es natürlich auch nicht. Dabei wäre das für Sony mit überschaubarem Aufwand und Kosten durchaus realsierbar, vor allem, da die Dokumentation offenbar bereits mit FrameMaker erstellt wird.

Übrigens: Das Handbuch für die „α 900“ ist laut PDF-Dokument-Informationen mit Adobe InDesign CS2 erstellt worden. Schaut man sich die typographischen Details aber genauer an, und wenn man die beiden Type-Engines von InDesign und FrameMaker kennt, so scheint das Haupt-Dokument aber eher mit Adobe FrameMaker erstellt worden zu sein. Vermutlich ist nur der Umschlag mit InDesign-erstellt worden (der leider als Doppelseite in das PDF eingefügt wurde, was ein richtiges „Zoomen auf Seitenbreite“ der restlichen Seiten in Acrobat unmöglich macht).

Fazit

Handbücher können durchaus als fester Baustein im Produktmarketing-Mix taugen. Dafür sollte der Hersteller dann aber an die Dokumentation die gleichen Ansprüche stellen, wie an die restlichen Bausteine im Marketing-Mix. Sony würde wohl nie auf die Idee kommen, eine Doppelseite in der PAGE in Schwarz/Weiß zu halten (es sei denn das erfüllt tatsächlich ein spezielles ästhetisches Ziel oder kommuniziert einen bestimmten Produktvorteil). Auch sollten zumindet die typographischen und mikro-orthographischen Details stimmen. Wenn das Ganze dann noch mit einem logisch dem Inhalt folgenden Layout gepaart ist und inhaltlich wenigstens etwas „emotionaler“ daher kommt kann es gelingen. Vielleicht heißt es dann eines Tages nicht mehr RTFM, sondern RTGM?

In Bezug auf die Sony-Alpha-Gebrauchsanleitungen kann man nur sagen: Das geht auch besser. Vielleicht sollte Sony sich da nach einem neuen Dienstleister für die Technische Dokumentation umsehen. Wir kennen da so einige, die das sicher besser machen könnten und beraten zum Thema gerne.

Was denken Sie?

Sind Gebrauchsanleitungen ein wichtiger Baustein im Marketing-Mix? Wir denken: Ja. Vielleicht kennen Sie ein echtes „Glanzstück“ Technischer Dokumentation? Eine Dokumentation, die sowohl gestalterisch als auch inhaltlich Vorbild ist und womöglich gar cross-medial daher kommt? Dann lassen Sie es uns doch hier wissen.

Dieser Beitrag wurde von Stefan Gentz am 06.08.2009 erstellt und unter Technische Dokumentation abgelegt. Wir freuen uns auf Ihren Kommentar. Einen Trackback auf diesen Artikel können Sie mit diesem Link setzen. Sie können diesen Beitrag auch per E-Mail weiterempfehlen oder Ihren Bookmarking- und Sharingdiensten hinzufügen.

 

5 Kommentare

  1. Thomas Böttiger

    Gute Idee, den Artikel in der FrameUser-Liste bekannt zu machen. Danke.

  2. Johannes

    Ich möchte behaupten, dass sich die Qualität einer BA an der Qualität des Produkts orientieren sollte. Für ein echtes “Billigprodukt” darf es auch eine “billige” Anleitung sein. Da erwartet der Kunde auch nichts anderes und da wird es auch keine “Produktreue” geben.

    Aber das sieht ganz anders aus, wenn es um ein “wertvolles” Produkt geht. Wenn das Handbuch für ein Produkt, das locker ein paar tausend Euro kostet (oder im Maschienenbau ja auch gerne mal über 100.000 EUR!), dann sollte die Anleitung das auch wiederspiegeln. Für eine High-End Kamera für 3.000 EUR darf man da schon eine Qualität erwarten, die der Qualität des Produktes (oder zumindest dem Anspruch des Herstellers daran) angemessen ist.

    Für eine Maschiene, die 10 oder gar 100-Tausend EUR kostet, darf der Kunde auch eine BA erwarten, die im wahrsten Sinne des Wortes mit allem Schickschnak daher kommt. Im Original-Artikel im Erklärer-Blog lese ich: “kein buntes Gezappel ohne Inhalt, kein Tamtam, kein Schmu.” Nö, das sehe ich nicht so. Warum muss eine Technische-Anleitung denn immer wie eine Todesanzeige daherkommen? Der Kunde hat gerade bei einer teuren Anlage ein Recht auf eine anständige Anleitung. Sich durch ein paar hundert Seiten Fachtext zu lesen, ist anstrengend genug. Da darf es doch bitte durchaus auch ein bisschen hübsch sein. Muss es denn immer DIN-A4 sein? Warum denn immer nur 10 Punkt Schriftgröße, womöglich gar noch Condensed? Und müssen denn Daumennagel großen Abbildungen wirklich sein? Warum denn nicht auch mal etwas größer? Da wäre man in so mancher Werkshalle mit verschmierten Händen und Schutzbrille sehr dankbar für! Aber daran scheint kaum jemand zu denken.

    Und wenn mich mein Chef schon dazu verdonnert, die BA mit nach Hause zu nehmen, damit ich sie “in Ruhe” lesen kann: Dann will ich eben auch ein PDF, damit ich es auf dem Laptop lesen kann. Aber dann hätte ich eben gerne eines mit allem Schi-Schi: mit Lesezeichen, die PDF bitte nicht “gesperrt”, damit ich mir auch im Adobe Reader Notizen machen kann, klickbare Querverweise, ein ordentliches, klickbares IVZ, klickbare Abbildungs- und ggf. klickbare Tabellenverzeichnisse, ein Glossar (das sollte eigentlich immer dabei sein!) und einen klickbaren Index. Und wenn dann auch noch die Zeichnungen im PDF anständig und verlustfrei skalierbar/zoombar wären (oder gar als Acrobat-3D Explosionszeichnung … *träum*), wäre das Ingenieursherz glücklich. Den Hersteller einer Maschiene mit einem solchen Handbuchs würde ich bis zur Rente treu bleiben.

    Johannes

  3. Martin Bosch

    Hallo Herr Gentz,

    schöner Bericht – schöne Erkenntnis.

    Ich denke, die Technische Dokumentation und die anschließende Übersetzung sind ein notwendiges Übel … für die Hersteller … nicht mehr und nicht weniger.

    That’s it.

    Grüße
    Martin Bosch

    • Stefan Gentz

      Hallo Herr Bosch,

      für eine große Menge an Herstellern und viele Produkte haben Sie da sicherlich recht. Ich denke aber nicht, dass das alle Hersteller so sehen. Es gibt durchaus auch Firmen, die das Thema Dokumentation mit einigem Engagement angehen, wie auch (aber nicht nur) an der jährlich wachsende Besucherschar der Tekom-Herbsttagung abzulesen ist.

      Natürlich gibt es – wie in jedem Beruf – qualifizierte und weniger qualifizierte Redakteure, engagierte und weniger engagierte. Und längst nicht in jeder Firma ist das Thema Dokumentation überhaupt ein Thema, insbesondere bei KMUs gibt es häufig ganz einfach gar keine Redakteure – da macht die Doku eben wirklich der Ingenieur zwischen Meeting und Mittagspause mit Word. Und für den ist es dann meist eben wirklich nur eine lästige Pflicht – mal abgesehen davon, dass er in der Regel weder Ahnung von Dokumentationserstellung hat, noch die entsprechenden Rechtsvorschriften erfüllen kann. So sieht die Doku dann auch aus (und so entstehen dann auch die vielen, vielen Folgeprobleme bis hin zur Nichtverarbeitbarkeit mit Translation Memory-Systemen usw.).

      Leider wird über die negtiven Auswirkungen solcher Vernachlässigung des Themas erst dann nachgedacht, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist bzw. der Arm in der Maschine gehäckselt wurde oder das Produkt wegen schlechter Doku z.B. bei der Stiftung Warentest deutlich abgewertet wurde. Oder der Sprachdienstleister mal empfiehlt, das Thema Doku doch mal etwas profesioneller anzugehen, weil man dadurch z.B. auch eine Menge Übersetzungskosten (und vor allem auch -zeit) sparen könnte. Häufig wird erst dann eine professionelle Dokumentationserstellung angedacht – sei es mit Hilfe externer Doku-Dienstleister oder über den Aufbau einer eigenen Dokumentationsabteilung (was die TRACOM ja auch schon in beiden Fällen erfolgreich begleitet hat).

      Viele Grüße,
      Stefan Gentz

 

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